Aus ihrem erfolgreichen Bundestagswahlkampf 2005 kann die SPD viel Selbstvertrauen schöpfen. Doch will sie weiterhin erfolgreich sein, muss die Partei sich programmatisch und organisatorisch weiterentwickeln
„Was hat sich letztlich als seine Sache erwiesen?“ – so fragte jüngst der Tagesspiegel in einem Porträt über den scheidenden Bundeskanzler Schröder und gab sogleich die Antwort: „Die Zukunft ist offen, wenn man nur anpackt, handelt, kämpft.“ Es ist tatsächlich diese optimistische Grundeinstellung, die Gerhard Schröder der SPD vermacht hat. Diese Haltung trug die SPD zuletzt im erfolgreichen Bundestagswahlkampf. Aus der positiven Erfahrung dieses Wahlsommers kann die Sozialdemokratie Selbstvertrauen schöpfen und einiges lernen – vor allem im Hinblick auf kommende Wahlen. Um jedoch im Jahr 2009 den Bundeskanzler zu stellen, muss sich die SPD zudem programmatisch und organisatorisch weiterentwickeln.
Ihren jüngsten Wahlerfolg erzielte die SPD unter äußerst schwierigen Bedingungen. Die versammelte Welt der Auguren hatte den Untergang der deutschen Sozialdemokratie auf den 18. September 2005 datiert. Dass die SPD nun doch auf Augenhöhe mit der Union wieder die Regierung bildet, hat sie vor allem ihrem entschlossenen Wahlkampf zu verdanken – einem Wahlkampf, in dem die SPD mit Gerhard Schröder an der Spitze die Reformagenda 2010 selbstbewusst vertreten hat. Genau diese geradlinige Haltung hat viele Wählerinnen und Wähler von der sozialdemokratischen Kompetenz überzeugt.
Viele „parteilose Sozialdemokraten“
Die SPD ist nach wie vor die linke Volkspartei in der Mitte der Gesellschaft. Auch das ist ein Grund für neues Selbstbewusstsein. Über 16 Millionen Bürger haben der Sozialdemokratie ihr Vertrauen geschenkt. Diese Wählerinnen und Wähler sind Frauen und Männer, die hart für sich und ihre Familien arbeiten; es sind junge Menschen auf der Suche nach einer Perspektive; es sind Ältere, die gut und sicher leben wollen; es sind Arbeitsuchende, Arme, Kranke, die von der SPD Unterstützung erwarten. All diese Menschen vertrauen auf diese Partei. Viele von ihnen kann man tatsächlich mit Willy Brandt als „parteilose Sozialdemokraten“ bezeichnen.
Die Wahl hat aber auch die Herausforderungen offenbart, vor der die Partei heute steht. Die FDP hat im Wahlkampf einen radikalen Wirtschaftsliberalismus vertreten, mit dem sich die SPD künftig immer wieder auseinandersetzen muss. Diese Westerwellsche Ideologie besagt, dass an alle gedacht sei, wenn nur jeder an sich selbst denkt. Die Apologeten des freien Marktes wollen jegliche staatliche Tätigkeit auf ein Minimum zurückfahren und das gesellschaftliche Leben vollständig ökonomisieren. Die SPD hingegen war zwar nie staatsgläubig – sie weiß aber, dass die Gemeinschaft öffentliche Güter zur Verfügung stellen muss, die der Markt alleine nicht hervorbringt. Bei Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Pflegebedürftigkeit beispielsweise kann allein der Staat soziale Sicherheit garantieren. Und nur er kann Bildung für alle anbieten, die kommunale Daseinsvorsorge organisieren und für die innere und äußere Sicherheit sorgen. Die SPD steht für die Stärke des Rechts – nicht für das Recht des Stärkeren.
Auch die neuerdings umbenannte PDS fordert die SPD heraus. Ihrem Populismus müssen Sozialdemokraten begegnen, indem sie immer wieder betonen: Das PDS-Programm der Abschottung und der Rückwärtsgewandtheit kann nicht im Ernst als links bezeichnet werden. Links bedeutet, weltoffen zu sein, Vertrauen in die Zukunft zu haben, konkret zu handeln für eine solidarische Gesellschaft. Nichts davon beschreibt die PDS.
In manchen Regionen – auch dies hat die Wahl einmal mehr gezeigt – droht sich der Rechtsextremismus festzusetzen. Zumal in Teilen Sachsens macht sich die NPD in der Mitte der Gesellschaft breit und versucht, die örtlichen Gemeinschaften und die Jugendkultur zu dominieren. Um sie zu bekämpfen, ist ein langer Atem nötig. Die demokratischen Parteien müssen denen den Rücken stärken, die in den betroffenen Regionen einen demokratischen Gegenpol organisieren.
Aus Verantwortung für unser Land arbeitet die SPD nun für den Erfolg der Großen Koalition. Die sozialdemokratische Handschrift ist in dieser Konstellation deutlich erkennbar. Das Ziel für die nächsten vier Jahren steht fest: Die SPD will die maßgebliche politische Gestaltungskraft in Deutschland bleiben und im Jahr 2009 wieder den Bundeskanzler stellen. Die Regierung Schröder hat dafür in den vergangenen sieben Jahren die Voraussetzungen geschaffen; sie hat den Grundstein gelegt für eine zeitgemäße Sozialdemokratie. Zum einen hat der Pragmatiker Gerhard Schröder die SPD zu einer verantwortungsbewussten Partei geformt, die regieren will, um die Wirklichkeit zu verändern. Die Wünsch-dir-was-Resolutionen der Vergangenheit sind heute nur noch selten anzutreffen. Zum anderen hat Schröder auf vielen Politikfeldern für notwendige Paradigmenwechsel gesorgt. Das Konzept eines aktivierenden Sozialstaats, ein reformierter Arbeitsmarkt, die kapitalgedeckte Altersvorsorge, eine moderne Familienpolitik oder die gewachsene internationale Verantwortung Deutschlands – dies alles gehört mittlerweile zum Inventar sozialdemokratischer und deutscher Politik. Diese konzeptionellen Neuerungen werden auch das neue Grundsatzprogramm mit prägen, das die SPD zurzeit erarbeitet.
Das Berliner Programm wurde im Dezember 1989 verabschiedet. Die gravierenden Veränderungen nach dem Ende des Kalten Krieges konnte es nicht mehr berücksichtigten. Seither haben sich Wirtschaft, Gesellschaft und die soziale Lage der Menschen in Deutschland aber stark verändert. Durch grenzenlose Kapitalmärkte und die geöffneten Volkswirtschaften in Osteuropa und Asien herrscht ein scharfer globaler Standortwettbewerb. Wie alle hochentwickelten Länder befindet sich Deutschland im Übergang zur Wissensökonomie und muss vor allem die geistigen Ressourcen seiner Gesellschaft mobilisieren. Am Arbeitsmarkt haben sich Ausgrenzungsprozesse fortgesetzt, viele Menschen sind heute weit stärker von Arbeitslosigkeit bedroht als noch in den achtziger Jahren. Und der demografische Wandel stellt die Grundmechanismen unserer Sozialsysteme in Frage.
In ihrem neuen Grundsatzprogramm muss die SPD unbedingt zum Ausdruck bringen, dass sie diesen Wandel als große, aber gestaltbare Herausforderung begreift. Grundlage des Programms muss die Erkenntnis sein, dass soziale Inklusion und wirtschaftliche Dynamik heute keine Gegensätze sind, sondern einander mehr denn je bedingen. Ohne den modernen, Zusammenhalt und Inklusion ermöglichenden Sozialstaat kann es unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts keine innovative Wirtschaft mehr geben – und ohne eine wettbewerbsfähige ökonomische Basis rutschen dem Sozialstaat auf Dauer alle Fundamente weg.
Lebenschancen für alle
Die sozialdemokratische Gestaltungsaufgabe besteht nunmehr darin, durch die systematische Verzahnung von Bildungs-, Familien- und Arbeitsmarktpolitik sozialen Aufstieg in Deutschland wieder einfacher zu ermöglichen und gleichzeitig durch vorbeugende, nicht nur „reparierende“ Sozialpolitik den sozialen Abstieg zu verhindern. Jeder Mensch soll immer wieder neu die Chance bekommen, eigenverantwortlich zu leben, zu arbeiten und an den Möglichkeiten der Gesellschaft teilzuhaben – unabhängig von Herkunft, Einkommen oder Geschlecht. Anders formuliert: Das Grundsatzprogramm muss das Profil der SPD als Partei der Lebenschancen für alle schärfen.
Diese Herausforderungen des 21. Jahrhunderts kann die SPD nur annehmen, wenn sie sich auch organisatorisch neu formiert. In einer sich rasch wandelnden Umwelt werden Organisationen nur dann überleben und prosperieren, wenn sie kreativ und flexibel auf neue Umstände reagieren, wenn sie sich umstrukturieren, Ressourcen bündeln und vor allem: wenn sielernende Organisationen sind. Das ist mühsam, doch anders können sie den Lauf der Dinge kaum beeinflussen. Genau das aber ist der Anspruch der SPD.
Nur Menschen überzeugen Menschen
Parteiorganisationen leben von der Verankerung in der Gesellschaft. Deshalb muss die SPD eine lebendige Mitgliederpartei bleiben und in den Betrieben, im Vereinsleben und in den Gewerkschaften besser vertreten sein als die politische Konkurrenz. Zurzeit gehören der Partei schlichtweg zu wenig Jüngere, zu wenig Frauen, zu wenig Ingenieure, Facharbeiter und Selbständige, inzwischen auch zu wenig Betriebs- und Personalräte an. Darum muss die SPD neue Mitglieder gewinnen. Bunte Werbeplakate allein werden das nicht bewirken. Nur Menschen können Menschen für die Mitarbeit in der SPD überzeugen. Jede zukünftige Mitgliederkampagne muss deshalb unbedingt von der gesamten Partei getragen werden. Auch hierfür macht der Bundestagswahlkampf Mut. Schließlich engagierten sich dabei mehr als 3000 junge Leute in über 300 Teams für die Sozialdemokratie.
Mitgliederwerbung allein reicht jedoch nicht aus. Neue Mitglieder müssen sich auch engagieren können, ohne ins kalte Wasser geschubst zu werden. Einen wichtigen Beitrag hierzu kann die innerparteiliche Bildungsarbeit leisten. Jeder, der in der SPD Verantwortung übernimmt – ob als Ortsvereinsvorsitzender oder Kassierer – muss das Angebot einer professionellen Ausbildung bekommen.
Programmatisch erneuert, organisatorisch gestärkt und als selbstbewusste linke Volkspartei in der Mitte der Gesellschaft – so wird die SPD alle Chancen haben, künftige Wahlen zu gewinnen.