„Wahlen nach Zahlen“ in Berliner Republik (2001), Heft 5

Wie nützlich sind Kampagnenhandbücher?

Der Bundestagswahlkampf 2002 naht. Untrügliches Indiz für die Ausweitung der Kampfzone ist die sich verschärfende Rhetorik der politischen Akteure. Es gilt, die enger werdenden Claims der öffentlichen Aufmerksamkeit frühzeitig kommunikativ zu erobern, um zu Beginn des letzten Gefechts strategische Vorteile zu sichern, Nachschubwege offen zu halten und das Hinterland zu befrieden. Siegreich bestandene Auseinandersetzungen verstärken den Wunsch, einmal erfolgreiche Lösungen zu standardisieren, um sie anderenorts mit gleichem Erfolg zu wiederholen.

Die Fähigkeit zu strategischer Wahlkampfplanung und effektiver Wahlkampfführung ist tatsächlich von zentraler Bedeutung für das politische Geschäft. Aber lassen sich diese Fähigkeiten nach dem Prinzip „Man nehme…“ erklären und nachvollziehbar machen? Zwei Neuerscheinungen dieses Jahres stellen sich der Aufgabe, Struktur und Funktion von Kampagnezutaten zu verdeutlichen. Grund genug, die Rezepte auf Qualität und Praxistauglichkeit zu untersuchen.
Wer Politik- und Kampagnenmanagement als eine Art Kriegshandwerk begreift, kommt vielleicht gar nicht darum herum, den alten Preußengeneral Clausewitz zu zitieren, um Verfahren und Techniken des demokratischen Machterwerbs zu beschreiben. „Kampagne!“, die jüngste Veröffentlichung von Marco Althaus, Leiter der Pressestelle im Wirtschaftsministerium von Niedersachsen, hat 24 junge Medienberater, und Meinungsforscher, Marketingleute und Parteiprofis, Journalisten und Wissenschaftler in einer facettenreichen Anthologie versammelt.

Gleich zu Beginn zieht das Buch die Aufmerksamkeit auf signifikante Ähnlichkeiten zwischen politischem Machtkampf und kriegerischer Auseinandersetzung, setzt dem Bild aber die ihm gebührenden Grenzen. Ohne auch nur des guten Tons zuliebe auf zunehmende Oberflächlichkeit und Amerikanisierung von Wahlkämpfen zu rekurrieren, gehen die Autoren daran, im ersten Teil die einzelnen Bestandteile einer professionellen Kampagne zu extrahieren. Schließlich werden, der ansehnlichen Oberfläche beraubt, die anatomischen Feinheiten sichtbar. Nicht alles, was zutage tritt, ist neu. Neu ist allerdings, zumindest auf dem deutschen Buchmarkt, die umfassende praxisorientierte Darstellung aller relevanten Bereiche der Kampagnenführung. Die richtigen Themen wählen, Umfragen auswerten, Geld besorgen, die öffentliche Wirkung von Aktionen und Kandidaten berechnen, motiviertes und fähiges Personal finden, effektive Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen schaffen – jedem Themenbereich ist ein lesbares Kapitel gewidmet.

„Und was machst du so?“ – „Ich mach Oppo.“

Besonders lesenswert ist der Beitrag von Vito Cecere aus dem Planungsstab des SPD-Parteivorstandes, der die Grundzüge eines professionellenOpposition Research darlegt. Diesem Fachgebiet, für das die deutsche Sprache nur das martialisch klingende Wort „Gegnerbeobachtung“ übrig hat, geht es nicht um investigative Recherche von Fehltritten und Skandalen der Mitbewerber, sondern um kontinuierliche Beobachtung der Stärken und Schwächen der Konkurrenten, um diese für die eigene Kampagne nutzbar zu machen. Cecere schlägt vor, diese Erkenntnisse in einem „Drehbuch der Gegenseite“ zusammenzufassen. Mit Hilfe eines solchen, möglichst realistischen Szenarien gegnerischer Aktivitäten lassen sich An-griffspunkte finden, eigene Defizite und Schwachstellen lokalisieren. „Oppo“, wie die Gegnerbeobachtung im amerikanischen Kampagne-Slang genannt wird, ist bisweilen mühselige Kleinstarbeit.

Den Blick zu schärfen für das erforderliche handwerkliche Geschick, ist die große Stärke der Beiträge des Buches. Ganz nebenbei wird aber auch deutlich, dass erfolgreiche Wahlkampfführung nicht dem Genius vorbehalten, sondern, weil in erster Linie Handwerk, eben auch erlernbar ist. Das stimmt hoffnungsvoll. Gerade deshalb ist es schade, dass „Kampagne!“ den Bereich Internet-Campaigning völlig ausklammert. Zwar findet sich in fast allen Beiträgen als integraler Bestandteil auch der obligatorische Hinweis auf die veränderten Möglichkeiten der Neuen Medien. Hier wäre jedoch in späteren Ausgaben ein eigenes Kapitel durchaus angebracht. Viele dieser neuen Möglichkeiten lassen sich nicht einfach unter die anderen Rubriken subsumieren, bleiben zwangsläufig sogar unausgeschöpft, versucht man im digitalen Netz lediglich ein Substitut analoger Kommunikation zu erblicken.

Von Möllemann lernen heißt siegen lernen

Die Kampagnenbeispiele des zweiten Teils sind nach der Lektüre der durchaus nicht grauen Theorie der einzelnen Bausteine gut lesbare Praxisbeschreibun-gen. Empfehlenswert sind vor allem zwei Beiträge: Zum einen die Darstellung der FDP-Kampagne in Nordrhein-Westfalen, die dem dortigen Spitzenkan-didaten Möllemann eine Flasche Wein von Wolfgang Clement und fast zehn Prozent der Stimmen bescherte. Zum anderen ein Beitrag über die Ökosteuerkampagne der CDU. Beide Beiträge schildern den höchst unterschiedlichen Verlauf hoffnungsvoller Kampagne aus einer schwierigen Anfangslage heraus. Exemplarisch wird deutlich wo die Klippen im stürmischen Gewässer des Kampagnenalltags liegen, was die Bedeutung einer umfassenden und vollständigen Ausgangsanalyse unterstreicht.

Wie isst man einen Elefanten? Stück für Stück. Getreu diesem Hinweis wendet sich Markus Schwer-tel in seinem Buch „Ich gewinne die Wahl.“ – im vertraulichen Genossen-Du – an seine sozialdemokratische Leserschaft. Einzeln und, wie Schwertel hervorhebt, streng chronologisch werden die Bestandteile eines Wahlkampfes behandelt. Dabei begreift Schwertel seinen Beitrag als Rezeptbuch, um sogleich zu konstatieren, es gebe kein Patentrezept. Wozu dann aber dieses Buch? Einiges spricht immerhin dafür, dass es in der Hand eines SPD-Ortvereinsvorstands nützliche Dienste leisten kann. Aus den Beiträgen spricht die langjährige – leidvolle? – Wahlkampferfahrung des Autors in der SPD. Standardfehler in allen Bereichen einer Kampagne listet das Buch penibel auf und gibt solidarische Ratschläge zur Vermeidung. Zur wahren Fundgrube für den verantwortungsbewussten wahlkämpfenden Genossen kann der Anhang werden. Auf 20 Seiten hat der Autor Aktionsideen aus SPD-Ortvereinen und Unterbezirken zusammengetragen und dokumentiert. Alles in allem ein bodenständiges Kompendium, das allerdings eher der diskrete Charme des engagierten Low-Budget-Campaigning umweht als der coole Odem weltläufiger Professionalität.

Beide Bücher haben eines gemeinsam: Sie sind im besten Fall geeignet, Kandidaten und deren Teams bei ihrer Kampagne punktuell zu beraten – als Ideenpool oder als hilfreiche Erinnerung. Erfolg und Misserfolg liegen aber regelmäßig nicht nur eng beieinander, sondern hängen auch entscheidend von den handelnden Personen ab. Und letztlich gilt auch für die modernen Wahlkampf in der Mediengesellschaft, der altmodisch klingende Hinweis, dass der Wahlkämpfer an der Art zu kämpfen auch seine politischen Ziele erkennen lassen sollte. Erst das schafft überhaupt das notwendige Maß an Vertrauenswürdigkeit und ist damit die Grundlage für jeden Wahlerfolg.

 

von Hubertus Heil, Tim Kickbusch und Carsten Stender