„Die Politik mit dem Scheckbuch ist vorbei“ in: Berliner Republik (1999), Heft 1

Fragen an Hans-Martin Bury zu seinem neuen Amt, zur Lage im Osten und zur Berliner Republik

Wie geht′s eigentlich Martin Bury?

Gut.

Haben Sie sich in das neue Amt eingelebt?

Ich bin noch mittendrin in meiner Einarbeitungsphase. Ich behaupte nicht, dass ich alles weiß und alles kann. Aber ich kann schon jetzt sagen, dass es sich um eine reizvolle und spannende Aufgabe handelt.

Die Presse wertet Ihre Benennung zum Staatsminister als ein bewusst vom Kanzler gesetztes Verjüngungssignal. Wie fühlen Sie sich als Symbol?

Jung allein hätte nicht gereicht. Der Bundeskanzler kennt meine ökonomische Kompetenz und meine Arbeit in den vergangen Jahren. Zum zweiten wollte er aber auch ganz bewusst ein Zeichen an die Jüngeren setzen, in Deutschland verstärkt Führungsverantwortung zu übernehmen.

Kommen Sie angesichts ihrer neuen bundespolitischen Aufgaben eigentlich noch zu dem, was man Wahlkreisarbeit nennt?

Ich habe meinen Wahlkreis bei der letzten Bundestagswahl das erste Mal direkt für die SPD gewonnen. Deswegen versuche ich möglichst am Wochenende und zumindest an einem weiteren Tag in der Woche in meinem Wahlkreis zu sein. Nicht ganz uneigennützig, denn meine Familie und ein Teil meines Freundeskreises wohnt im Wahlkreis. In meinem Job muss man aufpassen, dass man seine Wurzeln nicht verliert.

Nach den verlorenen Kommunal- und Landtagswahlen mehren sich die Stimmen an der sozialdemokratischen Basis, denen die Regierungspolitik im Bund zu „kalt“ und „technokratisch“ erscheint. Wie sehen Sie das?

Wir haben hohe Zustimmung für die Inhalte unseres Zukunftsprogramms, aber Nachholbedarf bei der emotionalen Vermittlung. Nun ist Haushaltskonsolidierung keine besonders euphorische Veranstaltung. Wir müssen aus meiner Sicht noch deutlicher machen, dass es beim Sparen darum geht, Handlungsfähigkeiten für den Staat zurückzugewinnen und den Bürgerinnen und Bürgern sowie der Wirtschaft mehr Spielräume zu geben.

Was tut denn das Bundeskanzleramt operativ, um das oft beklagte „Kommunikationsdefizit“ zu beseitigen? Oder ist das top secret?

Wenn ich meinen Job erfolgreich mache, dann besteht der Erfolg auch darin, dass dieses Thema kein öffentliches mehr ist.

Ihre Tätigkeit im Kanzleramt besteht vor allem darin zu koordinieren. Liegt Ihnen das mehr als die politische Gestaltung?

Meine Hauptaufgabe liegt vor allem in der Bund/Länder-Koordinierung. Da ein großer Teil der Vorhaben der Regierung nicht nur im Bundestag, sondern auch im Bundesrat und voraussichtlich im Vermittlungsausschuss landen wird, habe ich nicht nur koordinierende Möglichkeiten, sondern auch die Chance zu gestalten.
Was gehört noch zu Ihren Aufgaben?

Neben der Bund/Länder-Koordinierung, der Vertretung des Bundeskanzleramtes in Bundestag und Bundesrat gibt es auch Sonderaufgaben. Die netteste war an meinem ersten Arbeitstag, als ich den Bundeskanzler beim „Großen Preis von Deutschland“ auf dem Hockenheim-Ring vertreten habe. Bei diesem Rennen gingen übrigens die Roten als erste durchs Ziel. Ich will dazu beitragen, dass uns dies politisch bald auch wieder gelingt.

Der SPD steht im Dezember ein Bundesparteitag in Berlin bevor. Was werden die Ergebnisse dieses Parteitages für die Arbeit der Bundesregierung bedeuten?

Ich bin überzeugt, dass der Parteitag das Zukunftsprogramm der Bundesregierung unterstützen wird. Darüber hinaus kann der Parteitag helfen deutlich zu machen, dass das Zukunftsprogramm den Beginn einer neuen Politik in Deutschland markiert. Die Kommission, die dieser Parteitag zur Erarbeitung eines neuen Grundsatzprogramms einsetzen wird, hilft der SPD, die angestoßene und stattfindende Programmdebatte zielorientierter zu führen, als dieses in den letzten Monaten der Fall war.

Die SPD hat gerade im Osten einige herbe Niederlagen einstecken müssen. In zwei Ländern wurde sie sogar nur drittstärkste Partei hinter der PDS. Was müssen die Sozialdemokraten tun, um dort wieder Verankerung zu finden?

Das, was wir im Gegensatz zu anderen über die Vollendung der deutschen Einheit gesagt haben, nämlich dass dieser Prozess länger dauert, als viele wahrhaben wollen, gilt – so fürchte ich – auch für meine eigene Partei. Es wird sicherlich noch einige Zeit dauern, bis wir in Ostdeutschland so stark gesellschaftlich verankert sind, dass daraus dauerhaft breite Mehrheiten werden können. Bundespolitisch scheint mir dort das emotionale Vermittlungsproblem noch ungemein größer und ausschlaggebender zu sein.

Sie stehen für eine Sozialdemokratie, die wirtschaftlich undogmatisch agiert und Eigenverantwortung betont. Glauben sie, dass die SPD dafür im Osten Verständnis gewinnen kann, angesichts der Tatsache, dass es bei den Bürgerinnen und Bürgern in den neuen Ländern durch ihre Sozialisation eine viel stärkere Sehnsucht nach Sicherheit und einem starken Staat gibt? Braucht die SPD vielleicht so etwas wie eine Doppelstrategie in West und Ost?

Wichtig ist, dass wir selbst nicht den Eindruck erwecken, es handle sich bei den zentralen Begriffen unseres Bundestagswahlkampfes, nämlich Innovation und Gerechtigkeit, um Gegensätze. Wer nur die eine oder nur die andere Seite dieses Doppels betont, greift zu kurz. Wir werden gerade angesichts der Massenarbeitslosigkeit in Ostdeutschland deutlich machen, dass wir mit Gerechtigkeit Teilhabemöglichkeiten meinen. Nur über Transferleistungen zu sprechen, wäre ein Zeichen von Zynismus. Wir müssen in den Mittelpunkt stellen – gerade angesichts der Verluste bei den Jungwählern -, dass es uns darum geht, Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt zu schaffen. Die Brücken, die wir jetzt zum Beispiel mit dem JUMP-Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit bauen, müssen in den ersten Arbeitsmarkt führen. Wenn unser Zukunftsprogramm Wirkung zeigt, die wirtschaftlichen Prognosen sagen das voraus, wird sich die Zustimmung zu den Inhalten unserer Politik auch wieder in Zustimmung zu den diese Politik tragenden Parteien niederschlagen.

Der Umzug von Bonn nach Berlin ist vollzogen. Dazu kommt eine zum Teil euphorisch zum Teil ängstlich geführte Debatte um die „Berliner Republik“. Können Sie mit diesem Begriff etwas anfangen?

Mir ist wichtig, dass, wir auch nach dem Umzug in Bewegung bleiben. Wir sind noch nicht angekommen. Der Umzug in diese spannende und unfertige Stadt sollte als Chance für politische Gestaltung genutzt werden. Die Politik kommt aus einer Bonner Kunstwelt, so angenehm es sich dort auch lebte, heraus. „Berliner Republik“ könnte eine Chiffre für den Politikwechsel sein, den wir mit unserem Zukunftsprogramm eingeleitet haben. Der Politikstil der Politikergeneration vor uns, die mit dem Scheckbuch durch das Land gezogen ist und Geschenke verteilt hat, ist vorbei. Immer mehr Menschen merken, es ist ihr Geld, das sie mit Zins und Zinseszins zurückzahlen müssen. „Berliner Republik“ bedeutet für mich auch, dass wir stärker auf gesellschaftliche Bündnisse setzen und nicht jede Lösung beim Staat vermuten. Das heißt, dass sich Politik an einigen Stellen auch zurücknehmen muss. Wir Politiker prägen die Stadt Berlin weniger als vorher Bonn. Das wird helfen, die Möglichkeiten von Politik realistischer zu sehen.