Rede von Hubertus Heil zum Entwurf des Ersten Gesetzes zur Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes


Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort erhält der Kollege Hubertus Heil für die SPD.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Hubertus Heil (Peine) (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her­ren! Die Art und Weise, wie wir mit dem wissenschaft­lichen Nachwuchs in unserem Land heute umgehen, entscheidet maßgeblich über die Frage, ob Deutschland auch zukünftig ein modernes und innovatives Land ist. An dieser Stelle gilt bezogen auf den Gesetzentwurf und das, was wir für den wissenschaftlichen Nachwuchs jetzt tatsächlich auf den Weg bringen, der Satz: Wer morgen gut und sicher leben will, der muss heute für Reformen sorgen. – Es ist eine gute Investition in die Zukunft, dass wir uns heute tatsächlich um bessere Karriere- und Le­bensperspektiven von jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern kümmern.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Auch für uns als Sozialdemokraten gilt: Wissenschaft, das heißt auch immer Konkurrenz und Wettbewerb von Ideen, von Ansätzen, auch von Personen. Auch darauf basiert wissenschaftlicher Fortschritt. Das heißt ganz klar: Nicht jeder und nicht jede wird im Wissenschafts­system erfolgreich sein, und es ist auch gar nicht das Ziel, dass jede junge Forscherin, jeder junge Forscher im Wis­senschaftssystem selbst verbleibt. Es werden auch viele in der Wirtschaft gebraucht, in der Gesellschaft, in der öffentlichen Verwaltung, an anderen Stellen. Aber ganz klar ist auch: Die Bedingungen sind heute so, dass uns viele gute junge Leute, die wir zukünftig im Wissen­schaftssystem, in der außeruniversitären Forschung und an den Hochschulen brauchen, zu früh verloren gehen, und das ist ein Grund für dieses Gesetz, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wie ist die Ausgangslage? Ich glaube, über die Befun­de gibt es große Übereinstimmung im Haus. Wenn ich an die Rede der Ministerin und meiner Vorrednerin denke, die politisch von unterschiedlichen Ecken der Erde kom­men, muss ich sagen: Es gibt zumindest in der Betrach­tung der Wirklichkeit Gemeinsamkeiten.

Die Ausgangslage ist ganz klar: Wir haben zum einen ein Riesenwachstum im Bereich der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit der Folge – Frau Ministerin Wanka hat es gesagt –, dass der Aufwuchs an unbefristeten Stellen in diesem Bereich damit nicht Schritt gehalten hat. Eine Zahl ist in diesem Zusammen­hang übereinstimmend festzustellen: 90 Prozent aller Verträge sind befristet.

Zweitens – auch das ist eine Ursache für die jetzige Situation – sind die Personalstrukturen an unseren Hoch­schulen so, dass in vielerlei Hinsicht das Prinzip „Profes­sur oder nichts“ gilt. Das gilt in vielen anderen Ländern auf der Welt nicht. Auch das ist eine Ursache für diese Entwicklung.

Drittens gilt immer noch, dass wir in diesem Land nicht nur eine Befristungsquote von 90 Prozent unter den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern haben, sondern dass auch die Berufung auf eine Profes­sur viel zu spät erfolgt. Übrigens sind Promovenden im Alter von 35 bis 45 Jahren doppelt so häufig von Befris­tung betroffen wie ihre nicht promovierten Altersgenos­sinnen und -genossen. Das ist kein guter Befund.

Diese Entwicklung ist merkwürdigerweise auch der Fluch der guten Taten. Wir haben in den letzten Jahren viel Gutes zur Expansion unseres Wissenschaftssystems getan: durch die Pakte, durch die Exzellenzinitiative, durch den Qualitätspakt Lehre, durch den Hochschul­pakt 2020, durch den Pakt für Forschung und Innovati­on. Das heißt, wir haben viel getan, aber es ist – das ist im Bericht zu lesen – ein Flaschenhals im Bereich des wissenschaftlichen Nachwuchses entstanden. Das ist in zweierlei Hinsicht ein Problem: Es ist ein Problem der Gerechtigkeit gegenüber den Menschen, die im Wissen­schaftssystem leben, lernen, arbeiten und forschen, und ihren sozialen Lebensperspektiven, und es ist ein öko­nomisches und qualitatives Problem, wenn wir die Po­tenziale derer, die wir in diesem Land gut ausgebildet haben, im Wissenschaftssystem und vor allen Dingen im Herzstück unseres Wissenschaftssystems, an den Hoch­schulen in Deutschland, nicht vernünftig zur Entfaltung bringen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ordneten der SPD)

Aber die von Frau Gohlke und von Frau Wanka an­gesprochene Tatsache, dass von den 90 Prozent der be­fristeten Arbeitsverträge mehr als die Hälfte, also jeder zweite Arbeitsvertrag, eine Laufzeit unterhalb eines Jahres hat, hat nicht nur mit Fehlentwicklungen zu tun, sondern auch mit dem Missbrauch des Befristungsrechts. Mit dieser Novelle steuern wir gegen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir also die gleichen Befunde haben, geht es jetzt um die Frage: Mit welchen Maßnahmen steuern wir gegen? Meine Kollegin Raatz wird noch im Detail auf den Gesetzentwurf eingehen. Ich finde, dieser Kompro­miss ist mit Augenmaß gefunden worden. Es war keine einfache Diskussion, auch in der Koalition. Die SPD war ja die Kraft, die dafür gesorgt hat, dass dieses Projekt der Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes in den Koalitionsvertrag aufgenommen wurde. Wir haben intensive Gespräche geführt. Wir haben, Frau Ministerin, glaube ich, gemeinsam einen guten Gesetzentwurf auf den Weg gebracht.

(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Da gibt es immer zwei Partner zu einem Koalitionsver­trag!)

– Vorsicht. Nicht so nervös werden, Herr Rupprecht. Es ist noch früh am Morgen.

(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Ich war bei den Verhandlungen dabei und weiß, wie es gelaufen ist!)

– Ich sage ja: Wir haben gemeinsam einen guten Gesetz­entwurf auf den Weg gebracht. Aber Sie sehen an der Freude der Sozialdemokratie, dass wir gar nicht so un­glücklich sind über das, was wir aufgrund unserer Initia­tiven gemeinsam erreicht haben.

Was den wissenschaftlichen Nachwuchs betrifft, ma­chen wir damit einen notwendigen, aber keinen hinrei­chenden Schritt.Denn Tatsache ist: Wir können dem Missbrauch durch diese Novelle des Arbeitsrechts ent­gegenwirken, aber wir schaffen damit noch keine neuen Stellen. Deshalb ist es richtig gewesen, dass die Koali­tionsspitzen auf ihrer Klausurtagung in Göttingen, Herr Kollege Kretschmer, vereinbart haben, dass auch wir als Bund neben dem, was wir an BAföG-Entlastungen für die Länder, die damit eigenständig etwas tun können und sollen, auf den Weg gebracht haben, mehr für den wissenschaftlichen Nachwuchs tun wollen. Auch wir als Bund wollen in den nächsten Jahren Geld in die Hand nehmen, um die Situation in diesem Bereich zu verbes­sern. Wir haben diesen Flaschenhals aufzubohren.

(Beifall bei der SPD)

Das geht nur, wenn wir zu einem Pakt für wissen­schaftlichen Nachwuchs zwischen Bund und Ländern kommen. Mit dieser fraktionsübergreifenden Initiative zwischen CDU/CSU- und SPD-Bundestagsfraktion ha­ben wir die vorhin beschriebenen Gespräche, die jetzt zwischen Ländern und Bund stattfinden, initiiert. Ich möchte sagen, was unser Wunsch und unser Ziel für die Gespräche ist: Es ist notwendig, dass wir in diesem Be­reich ein Bund-Länder-Programm auf den Weg bringen, das tatsächlich neue Karrierewege mit neuen Personal­kategorien neben, aber auch unterhalb der Professur er­möglicht, und sich so ein moderner Mittelbau entwickelt.

(Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Was sehr wichtig ist!)

Zwölf Länder, die SPD-Bundestagsfraktion und auch die Allianz der Wissenschaftsorganisationen sagen eindeu­tig: Ja, wir brauchen diesen Anreiz für einen modernen Mittelbau, auch für Daueraufgaben. Wenn wir keine Ver­änderung bei den Personalstrukturen erreichen und keine neuen Karrierewege eröffnen, bleiben wir auf halbem Wege stehen.

Es ist ohne Zweifel so – das ist die Position von zwölf Bundesländern, es ist unsere Position als SPD-Bundes­tagsfraktion, und es ist auch die Position der Wissen­schaftsallianz –, dass dieser Pakt drei Dimensionen an­sprechen muss.

Erstens – hier gibt es einen großen Konsens – stehen wir dazu, ein Tenure-Track-Programm für Hochschul­lehrer auf den Weg zu bringen und zusätzliche Tenu­re-Track-Optionen zu schaffen, um die Planbarkeit zu erhöhen.

Zweitens – auch das gehört dazu – brauchen wir ein Anreizprogramm für neue strukturelle Karrierewege ne­ben und unterhalb der Professur, um neue Personalstruk­turen zu entwickeln.

Last, but not least brauchen wir die Förderung von Karrierekonzepten zur verlässlichen und modernen Per­sonalentwicklung an den Hochschulen.

Das, meine Damen und Herren, sind drei gleichrangi­ge Elemente, die wir brauchen, wenn, Frau Ministerin, ein Pakt für wissenschaftlichen Nachwuchs diesen Na­men verdienen soll.

(Beifall bei der SPD)

Uns ist dabei vollkommen klar, dass auch unsere fi­nanziellen Mittel endlich sind. In der Koalition haben wir beschlossen, dass wir in den nächsten zehn Jahren dafür 1 Milliarde Euro zur Verfügung stellen wollen. Ich sage in Richtung Länder, dass wir erstens erwarten, dass es auch einen eigenständigen Finanzierungsbeitrag der Län­der für ein solches Bund-Länder-Programm geben wird.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Zweitens – auch das sage ich an die Adresse der Länder – erwarten wir, dass es zusätzliche Stellen werden und dass dafür nichts anderes wegfallen wird.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so­wie des Abg.Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Drittens müssen wir dafür sorgen, dass die Mittel für den Pakt möglichst breit verteilt in die Hochschulen gehen, über Länderkontingente, beispielsweise nach erfolgrei­chem Modell des „Qualitätspakts Lehre“. Diese Ansprü­che stellen wir an die Länder. Aber – da beißt die Maus keinen Faden ab –: Wenn wir ein reines kleines Tenu­re-Track-Programm machen, dann löst das die Probleme nicht.

(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Das ist kein kleines, das ist ein großes!)

Wir müssen zusätzlich zum Tenure-Track-Programm für Personalentwicklungskonzepte sorgen. Wir müssen Anreize schaffen, dass es neben der Professur – sie ist Fixierungspunkt – andere strukturelle Karrierewege im Wissenschaftsbetrieb gibt. Dann schaffen wir einen gu­ten Pakt.

(Beifall bei der SPD)

Zum Schluss, meine Damen und Herren: Beide Bau­steine – die Reform des Wissenschaftszeitvertragsge­setzes, die wir heute in erster Lesung mit einem guten Gesetzentwurf beraten und zu einem guten Gesetz ma­chen wollen, und ein Pakt für wissenschaftlichen Nach­wuchs – haben das Ziel, die Attraktivität im Wissen­schaftsbereich als Berufsfeld zu steigern, dafür zu sorgen, dass Menschen, die einen steinigen und fordernden Weg vor sich haben, ihn persönlich gut gehen können. Wir sichern damit die Innovationsfähigkeit in Wissenschaft und Forschung. Wir sorgen für Fachkräftesicherung im Wissenschaftssystem. Wir sorgen für ein Mindestmaß an Beschäftigungssicherheit. Das, meine Damen und Her­ren, wollen wir umsetzen.

Die Hauptkritik der Linken lautete: Spät. Sie hätten aber auch sagen können: Besser spät als nie. Das wäre fair. – Wie auch immer: Wir gehen voran. Ich glaube, das ist ein guter Tag für den wissenschaftlichen Nachwuchs in diesem Land.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)