Rede von Hubertus Heil zur Forschungs- und Innovationspolitik

Präsident Dr. Norbert Lammert:
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Hubertus Heil das Wort.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Claus, es geht aber um etwas anderes. Es geht um drei Vorlagen, die wir heute diskutieren, nämlich um den Bundesbericht Forschung und Innovation, das Gutachten der Expertenkommission und die neue Hightech-Strategie der Bundesregierung. Wenn Sie fragen, welchen Innovationsbegriff wir zugrunde legen, dann sage ich Ihnen: Schauen Sie bitte in die Papiere, und verbreiten Sie nicht so ein Zeug!

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Ganz klar ist, dass wir spätestens seit Joseph -Schumpeter wissen, dass Invention und Innovation zwei verschiedene Dinge sind, die aber zusammenhängen. Das heißt, es geht nicht allein darum, Dinge zu erfinden oder Prototypen auf den Weg zu bringen; es geht auch darum, dass daraus tatsächlich Produkte, Verfahren und Dienstleistungen werden und – ich füge das hinzu – dass aus technischem und wirtschaftlichem Fortschritt auch gesellschaftlicher und sozialer Fortschritt wird. Das ist unser Innovationsbegriff, und der findet sich auch in der Hightech-Strategie wieder.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Wir müssen dann fragen, ob wir gut sind und ob wir gut aufgestellt sind, was unsere Hightech-Strategie, unsere Forschung und Entwicklung betrifft, um auch die großen Fragen unserer Zeit zu beantworten. Wenn es darum geht, mit wissenschaftlichem und technischem Fortschritt gesellschaftliche Probleme, wenn Sie so wollen, Menschheitsprobleme anzugehen, dann liegen vor allen Dingen vier große Fragen vor uns, beispielsweise die Frage, was wir tun können, um mit technischem Fortschritt in Deutschland den demografischen Wandel positiv zu begleiten, oder die Frage, was wir tun können, um zu erreichen, dass aus Digitalisierung – das Stichwort ist hier schon mehrfach gefallen – Positives wird, etwa wenn es um Datensicherheit geht. Die Frage ist aber auch: Was ist Arbeit 4.0? Der Kollege Röspel hat am Beispiel der Fraunhofer-Institute in Dortmund darauf hingewiesen. Dort gibt es übrigens nicht nur schlaue Techniker und Logistiker, sondern auch Wissenschaftler, die mit Arbeitssoziologen zusammenarbeiten wollen, um zu erforschen: Was heißt „Arbeit 4.0“? Welche Qualifikationsanforderungen brauchen wir in dieser neuen Welt, bei dieser industriellen Revolution? Ich finde, dass wir da auf dem richtigen Weg sind, auch mit der Hightech-Strategie.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es geht auch um die Frage, wie wir mit technischem, naturwissenschaftlichem und wissenschaftlichem Fortschritt mithelfen können, mit Mitteln der Industriegesellschaft Probleme zu lösen, die aus der Industriegesellschaft entstanden sind: ökologische Probleme, die Knappheit von Ressourcen, der Klimaschutz. Ich glaube, dass wir mit der Energieforschung, die wir auf den Weg bringen, nicht nur einen Beitrag dazu leisten können, dass wir in Deutschland im Rahmen der Energiewende eine bessere Energieversorgung bekommen. Wir können die Lösung, die wir hier haben, auch exportieren. Die Weltbevölkerung wächst. Es wird ein Riesenenergiehunger auf der Welt da sein. Wenn wir deutsche Produkte, Verfahren und Dienstleistungen exportieren und so mithelfen können, dass es ökologischere, wirkungsvollere Verfahren auf der Welt gibt, dann leisten wir mit deutscher Forschung und Anwendung tatsächlich einen Beitrag dazu, dass wir dieses Menschheitsproblem angehen können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, neben Demografie, Digitalisierung, knappen Ressourcen geht es auch um die Frage, welchen Beitrag Wissenschaft und Forschung in Deutschland leisten können, wenn es darum geht, der Internationalisierung von Politik und Wirtschaft etwas Gutes abzugewinnen. Ich meine da durchaus auch geisteswissenschaftliche Forschung. Wir erleben bei den internationalen Konflikten, die es im Moment auf der Welt gibt, dass es wichtig ist, dass wir Konfliktforschung, Friedensforschung, zivile Forschung miteinander voranbringen. Herr Claus, das können Sie nicht leugnen: Seit Sozialdemokraten da mitmachen, kommt das auch wieder ein Stück weit stärker voran; das erkennen Sie, wenn Sie in den Haushalt gucken. Darauf sind wir durchaus stolz.

(Beifall bei der SPD – Roland Claus [DIE LINKE]: Aber das kommt nicht vor in dem Papier!)

Wo stehen wir heute? Da ist Licht und Schatten; das ist richtig. Dafür gibt es den EFI-Bericht. Aber grundsätzlich – darauf haben die Kollegen der Koalition hingewiesen – steht Deutschland gut da. Wir sind beim Innovationsindex der Europäischen Union an der Spitze. Wir haben ein Wachstum der Mittel. Was das 3-Prozent-Ziel angeht, so sind wir inzwischen – um genau zu sein – bei 2,98 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das sind massive Steigerungen. In dieser Zeit gab es bei Forschung und Entwicklung tatsächlich einen Rekordaufwuchs, sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich. Wir haben in diesem Land auch eine gute Grundstruktur, nämlich innovative Unternehmen, vor allen Dingen mittelständische Unternehmen, die berühmten Hidden Champions, die auf den Märkten der Welt nicht mit den billigsten, sondern mit den besten Produkten und Verfahren erfolgreich sind, weil sie eben mehr in Forschung und Entwicklung investieren.

Dazu gehören übrigens auch ein leistungsfähiges System forschender Unternehmen und von Hochschulen und – darum beneiden uns einige in der Welt – sehr starke außeruniversitäre Forschungseinrichtungen mit klaren Aufgabenschwerpunkten. Die außeruniversitäre Forschungslandschaft, die wir in Deutschland haben, wird mittlerweile weltweit kopiert. Man muss nur einmal – wir waren vor kurzem dort – mit Verantwortlichen in China oder in Vietnam sprechen. Sie fragen uns: Wie macht ihr das mit Max Planck, Helmholtz, Leibniz, DFG und Fraunhofer? Wie kommt ihr eigentlich bei Grundlagenforschung und anwendungsorientierter Forschung zurecht? Wie habt ihr das auf die Beine gestellt? – Das ist nicht unser Problem.
Ich füge aber, Herr Gehring, hinzu: Zu einem guten Forschungs- und Wissenschaftssystem gehört, dass wir das Herzstück, nämlich die Universitäten, die Hochschulen in diesem Land, stärken, auch was die Forschung betrifft.

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)

Das heißt, wir müssen die Qualität der außeruniversitären Forschung halten, den Aufwuchs, den wir auf den Weg gebracht haben, verstetigen und gleichzeitig dafür sorgen, dass unsere Hochschulen vorankommen. Da werden wir im nächsten Jahr noch eine ganze Menge zu tun haben. Wir haben allerdings schon eine ganze Menge auf den Weg gebracht, beispielsweise mit dem Hochschulpakt.

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nichts anderes habe ich doch gesagt!)

Es wird nächstes Jahr auch um die Exzellenzinitiative gehen. Auch dieses Thema wird die Koalition miteinander angehen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hauen Sie doch rein! Auf geht’s! Dann machen Sie es doch!)

– Ja, auf geht’s! Ich meine, es kann ja nicht sein, Kai Gehring, dass ihr sagt: Nicht immer nur Wachstum, Wachstum, Wachstum. – Das habe ich vorhin gehört. Ich frage mich, was denn eure Alternative ist. „Schrumpfen, schrumpfen, schrumpfen“ kann es ja auch nicht sein.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aber ganz ernsthaft: Wenn ich höre: „Das ist ja alles ganz gut, aber noch nicht genug“, dann kommt mir das auch ein bisschen wie Tonnenideologie vor.
Wir haben in dieser Großen Koalition in einem Jahr im Bereich Bildung und Forschung mehr auf den Weg gebracht, als in den vier Jahren zuvor erreicht wurde. Darauf bin ich stolz.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir haben nicht nur den Artikel 91 b des Grundgesetzes geändert, sondern wir haben auch den Hochschulpakt auf den Weg gebracht. Wir haben tatsächlich einen Pakt für Forschung und Innovation geschlossen. Wir haben im Rahmen der BAföG-Reform Milliarden von Euro zur Verfügung gestellt; diese Mittel können die Länder in Bildung investieren. Wir haben außerdem das Grundgesetz geändert.

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was ist mit dem Befristungsunwesen an den Hochschulen?)

– Ja, wir werden auch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz ändern. Wir müssen auch mehr für den wissenschaftlichen Nachwuchs tun. Aber im Sinne der Fairness fände ich es anständig, wenn auch die Opposition anerkennen würde, dass diese Regierung in einem Jahr wirklich eine ganze Menge auf den Weg gebracht hat, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU])

Das EFI-Gutachten bringt zum Ausdruck, wo Licht und Schatten ist und wo noch Aufgaben zu bewältigen sind. Beispielsweise ist es, wie ich finde, kein gutes -Signal, dass deutsche Unternehmen dreimal mehr im Ausland als in Deutschland in Forschung und Entwicklung investieren. Darüber müssen wir uns unterhalten: Was sind die Standortfaktoren für Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen? Es ist nicht schlecht, wenn große oder mittelständische deutsche Unternehmen, die international aufgestellt sind, auch in anderen Ländern – das ist ja marktnäher – Forschung und Entwicklung aufbauen. Aber wir müssen im Interesse der Investitionen in Deutschland auch über die Rahmenbedingungen von Investitionen bei uns reden. Dabei geht es nicht immer nur um Steuersätze und monetäre Anreize, sondern es geht an dieser Stelle auch um Offenheit, um die Akzeptanz von Innovationen.
Hier schließt sich der Kreis: Wir werden die Akzeptanz für technischen, für industriellen Fortschritt nur dann hinbekommen, wenn klar ist, welche Chancen und Risiken es gibt; denn es gibt keinen Fortschritt ohne Risiko. Hier muss eine Abwägung vorgenommen werden. Es muss auch immer ganz klar sein, welchen sozialen Fortschritt Forschung oder Entwicklung bzw. der industrielle Fortschritt mit sich bringen. Das ist der Zusammenhang. Deshalb ist es richtig, dass es keine reine Hightech-Strategie mehr ist, sondern im besten Sinne des Wortes eine Innovationsstrategie, auch im Hinblick auf sozialen Fortschritt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Da kommen dann vermeintlich weiche und harte Faktoren zusammen, beispielsweise im Hinblick auf Unternehmensgründungen. In dieser Stadt, in Berlin, kann man übrigens beobachten, dass sich die berühmte Theorie des Ökonomen Richard Florida, nach der man Talente, Technologie und Toleranz braucht, um tatsächlich eine Gründungskultur zu etablieren, bestätigt. Diese Stadt Berlin ist weltoffen, und hochattraktiv. Wir haben hier inzwischen eine hochspannende Gründerszene. Junge Menschen – nicht nur aus Skandinavien, sondern auch aus Israel und vielen anderen Teilen der Welt –, gute Köpfe, kommen hierher, weil Berlin eine weltoffene, spannende Stadt ist – mit viel Kultur. Gleichzeitig verbindet sich das mit Technologie und mit Talenten. Das gehört zusammen.
Wenn wir es in den nächsten Jahren schaffen, auch für die notwendigen harten Bedingungen zu sorgen – hier geht es nicht nur um Wagnis- und Gründungskapital im Allgemeinen, sondern vor allen Dingen auch um Wagniskapital im Hinblick auf das Wachstum von Start-ups –, dann, glaube ich, sind wir auf dem richtigen Weg. Ich gebe aber zu, dass wir uns da beeilen müssen; denn Tatsache ist, dass die Digitalisierung ein Mega-trend ist. Wenn wir in Deutschland zwar eine Wertschöpfungskette von klassischen Grundstoffindustrien über produzierende Unternehmen bis zu kleinen Hightechschmieden haben, aber die Ausrüster der Digitalisierung alle eher in Amerika oder anderswo sitzen, dann ist es höchste Zeit für gemeinsame Initiativen von Wirtschaft, Finanzwirtschaft und Politik, um beispielsweise im Bereich der Wachstumsfinanzierung voranzukommen.
Aber es ist nicht so, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, dass da nichts passiert. Unterhalten Sie sich einmal darüber – wir haben vorhin Kerstin Andreae in den Verwaltungsrat der KfW gewählt –, was die KfW inzwischen auf den Weg gebracht hat, um als Ankerinvestor für Wachstumsfinanzierung voranzukommen.

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch nicht für kleine Start-ups!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Heil.

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Ich denke, damit muss man sich nur ein wenig auseinandersetzen.
Zum Schluss, Herr Präsident, Folgendes: Ich denke, dass wir finanziell und konzeptionell mit der Hightech-Strategie auf einem guten Weg sind, und ich füge hinzu: Für uns gehören wissenschaftlicher und technischer Fortschritt und auch sozialer Fortschritt dazu. Dies wird einen Beitrag dazu leisten, dass unser Land erfolgreich bleibt.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)