Rede von Hubertus Heil zum Thema Wirtschaft und Energie

Präsident Dr. Norbert Lammert:
Jetzt hat der Kollege Heil das Wort für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Weil wir gerade über Redlichkeit gesprochen haben, habe ich noch einen Nachtrag zum Kollegen van Aken, der bedauernswerterweise dem Minister Zwischenfragen gestellt und sich dann aus der Debatte entfernt hat.

(Widerspruch der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE])

Aber vielleicht richten Sie ihm das aus.
Was er vorhin bei seiner Zwischenfrage gemacht hat, nämlich den Eindruck zu erwecken, dass er als Abgeordneter dem Minister bzw. Vertretern des Ministeriums Fragen zum Thema Rüstungsexporte gestellt hätte, die diese nicht beantworten wollten, ist nach meinen Recherchen – ich habe gerade im Bundesministerium nachgefragt – nicht die Wahrheit.

(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: So macht er das immer!)

Die Wahrheit ist: Er hat eine Anfrage gestellt und die Antwort bekommen, dass die Zahlen für 2013 gerade aufgearbeitet und im Frühsommer veröffentlicht werden.
Dem Kollegen Rösler hat er dieselbe Frage gestellt, allerdings im Mai; da konnte er sie beantworten. Wer hier den Eindruck erweckt, dass das Ministerium, das beim Thema Rüstungsexportkontrolle einen neuen Kurs einschlägt, nämlich mehr Transparenz herzustellen, wissentlich Abgeordneten vorliegende Zahlen verschweigt, der sagt die Unwahrheit, und dem geht es offensichtlich nicht um das Thema, sondern um billige Linksparteiprofilierung in diesem Land.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Das ist umso bedauerlicher, als ich Herrn Kollegen van Aken zumindest in seiner Einschätzung europäischer Themen leider für eine Minderheit in Ihrer Fraktion halte

(Katja Kipping [DIE LINKE]: Quatsch!)

nach dem, was Frau Wagenknecht macht, aber das ist ein anderes Thema.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir Sozialdemokraten unterstreichen den Satz von Herrn Kollegen Fuchs, dass es Deutschland gut geht. Aber es gilt auch der Satz: Wer morgen sicher leben will, der muss heute für Reformen sorgen.
Wir haben große Aufgaben vor uns. Wir müssen dafür sorgen, dass in diesem Land die Investitionsquote steigt. Darauf hat der Bundesminister hingewiesen. Herr Ernst, an dieser Stelle sind wir nicht diejenigen – im Gegensatz zu Ihnen –, die bemängeln, dass wir exportstark sind. Dieses Land ist exportstark. Es soll wettbewerbsfähig bleiben. Aber gleichzeitig müssen wir die Binnennachfrage in diesem Land stärken. Das tun wir mit einer neuen Ordnung am Arbeitsmarkt und damit auch für die Kaufkraft.
Wir müssen auch für Investitionen – öffentliche und private – in Deutschland sorgen. Deshalb wird diese neue Bundesregierung 23 Milliarden Euro mehr in Verkehrsinfrastruktur, aber vor allem in Bildung und Forschung investieren: 9 Milliarden Euro allein in diesem Bereich. Das macht unser Land zukunftsfähig. Wir müssen exportfähig bleiben. Aber wir brauchen auch starke Heimspiele auf dem Binnenmarkt. Das ist die Balance, auf die der neue Wirtschaftsminister Wert legt. Wir tun das ebenfalls.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Heil, der Kollege Ernst würde gerne eine Zwischenfrage stellen.

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Bitte schön.

Klaus Ernst (DIE LINKE):
Herr Kollege Heil, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich nicht die Exporte der Bundesrepublik Deutschland kritisiert habe, sondern den Überschuss? Das ist etwas anderes. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass 1,1 Billionen Euro an Überschüssen gegenüber der Europäischen Union den Zusammenhalt Europas gefährden, weil diese Überschüsse permanent Defizite in anderen europäischen Ländern erzeugen? Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass sich meine Kritik an dem, was Herr Gabriel vorgetragen hat, darauf bezog, dass ich in seinen Erklärungen nichts erkennen konnte, was darauf zielte, diese Exportüberschüsse durch gesteigerte Importe, also durch eine vernünftige binnenmarktwirtschaftliche Entwicklung, zu verringern? Und sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir, wenn wir es nicht schaffen, diese deutsche Politik entsprechend zu verändern, das Problem in Europa sind und nicht nur die anderen?

(Beifall bei der LINKEN)

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Herr Kollege Ernst, sind Sie vielleicht bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass monokausale Argumenta-tionsketten die Probleme, die wir in Europa haben, nicht abbilden?

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Es ist schlimm, wenn man jemandem antworten muss, der zum Teil recht hat, aber das gesamte Bild verschweigt. Richtig ist: Handelsbilanzunterschiede stellen ein ökonomisches Problem dar. Deshalb habe ich gesagt – vielleicht haben Sie das zur Kenntnis genommen –: Wir arbeiten daran, wettbewerbsfähig zu bleiben. Um es in der Fußballsprache zu sagen: Man kann nur erfolgreich sein und Meister werden, wenn man stark in Auswärtsspielen, also in diesem Fall im Export, ist. Aber man muss auch starke Heimspiele haben. Das heißt, wir brauchen einen stärkeren Binnenmarkt. Das ist ein ökonomisches Problem. Aber in Ihrer Argumentation tun Sie gerade so, als wäre der Exporterfolg der Bundesrepublik Deutschland schuld an der gesamten Krise in Europa. Das hat mit der Wahrheit nichts zu tun.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN)

Dafür gibt es durchaus andere Gründe. Es gibt strukturelle Probleme und Verwerfungen auf den Finanzmärkten. Das dürfen Sie nicht ausblenden.
Herr Ernst, im Gegensatz zu Ihren Parolen tun wir als Regierung etwas, um die Binnennachfrage in diesem Land tatsächlich zu stärken. Wir sorgen für eine Neuordnung auf dem Arbeitsmarkt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das stärkt die Kaufkraft. Dazu gehören der gesetzliche Mindestlohn und Regeln gegen den Missbrauch von Zeitarbeit. Davon quatschen Sie nur. Aber wir tun es. Das ist der Unterschied, Herr Ernst.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN)

Herr Ernst, wir sorgen dafür, dass mehr investiert wird, und zwar sowohl privat als auch öffentlich. Bei den privaten Investitionen müssen wir mehr für Planungs- und Investitionssicherheit tun. Hier steht das Thema Energiewende ganz oben auf der Agenda. Aber die öffentlichen Investitionen von Bund, Ländern und Kommunen in Bildung, Forschung und Infrastruktur sind ein Markenzeichen dieser Regierung. Daran kann man uns auch messen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich will zum Thema Energie sprechen, weil das die größte Baustelle ist, vor der der Bundesminister, die Regierung und das Parlament, aber auch Deutschland insgesamt stehen. Herr Kollege Krischer, wir sind uns in der Analyse wahrscheinlich in vielem einig. Der Anteil der erneuerbaren Energien liegt bei 25 Prozent. Das EEG war als Markteinführungsinstrument vernünftig. Sonst hätten wir nicht 25 Prozent erreicht. Aber nun geht es nicht mehr um Markteinführung, sondern um Marktdurchdringung. Deshalb kann man das bisherige Fördersystem nicht perpetuieren. Wer die Energiewende zum Erfolg führen will, der muss jetzt für eine grundlegende Reform sorgen, Herr Krischer; das ist der entscheidende Punkt. Nachdem Sie zuerst alles in Grund und Boden geredet haben, haben Sie am Ende ein Verhandlungsangebot gemacht. Meine Bitte ist, dass Sie im Sinne einer gelingenden Energiewende konstruktiv mitwirken.
Der deutschen Öffentlichkeit und vielleicht auch vielen in diesem Hause ist offensichtlich noch nicht ganz klar, in welcher dramatischen Situation wir uns aufgrund mehrerer Entwicklungen, die zusammenkommen, befinden. Klar ist: Wir müssen das EEG ohnehin reformieren, um die Kostendynamik beim Zubau tatsächlich in den Griff zu bekommen. Wir wollen übrigens weiterhin ausbauen. Sie tun dagegen so, als würden die Erneuerbaren überhaupt nicht mehr gefördert. Das ist nicht der Fall. Wir fördern bislang mit 24 Milliarden Euro jährlich. Wir werden weiter fördern. Wir haben sehr ambitionierte Ausbauziele. Wir sind jetzt bei 25 Prozent. Wir werden den Weg hin zu den erneuerbaren Energien weiterhin konsequent gehen. Dafür brauchen wir übrigens auch Planungs- und Investitionssicherheit. Wenn wir aber nicht zu einer grundlegenden Reform kommen, dann – das dürfen Sie der Öffentlichkeit nicht verschweigen – wird es zwei parallele europäische Entwicklungen geben, die uns wirtschaftlich schaden können. Das eine ist das Beihilfeverfahren in Bezug auf die Ausnahmetatbestände für energieintensive Betriebe. Wenn wir nicht zu einer grundlegenden Reform auch bei den Ausnahmetatbeständen kommen – ich komme gleich dazu; hierbei müssen wir übrigens eine Verständigung mit Brüssel herbeiführen; es darf nicht zu einer Eskalation kommen –, dann haben die Grundstoffindustrien in Deutschland ab dem 1. Januar 2015 ein Riesenproblem. Für -chemische Unternehmen, Stahlunternehmen, Aluminiumunternehmen, für die Unternehmen, die bei ihren Prozessen alles tun, um energieeffizient zu sein, aber einen hohen Energieaufwand haben, und die miteinander im Wettbewerb stehen, wird das ein wirkliches Problem. Das Elektrostahlwerk in meiner Heimatstadt beispielsweise wäre dann weg. Das will keiner. Deshalb müssen wir diese Ausnahmeregelungen reformieren.
Aber es geht noch weiter. Es gibt ja noch einen anderen Prozess, der mit Herrn Almunia zu tun hat und der in Brüssel stattfindet: Das ist die Reform der Umwelt- und Energiebeihilfen. Herr Kollege Krischer, wenn Sie das nicht im Blick haben, dann riskieren Sie nicht nur, dass die Ausnahmetatbestände abhandenkommen, sondern auch, dass die Förderung erneuerbarer Energien, das EEG insgesamt, zum Kippen kommt.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja richtig! Aber dann sagen Sie doch, was Sie vorhaben!)

Ich sagen Ihnen: Deshalb machen wir uns auf den Weg grundlegender Reformen. Wer erneuerbare Energien will, der muss heute für Reformen sorgen,

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

der darf an dieser Stelle nicht nur zugucken, und der darf sich auch nicht zum Anwalt von Partikularinteressen machen. Das finde ich wirklich schwierig. Ich kann verstehen, dass Ministerpräsidenten die Interessen ihres Landes vertreten und Wertschöpfungsanteile im Rahmen der Energiewende für sich beanspruchen. Das ist auch deren Job. Aber es ist nicht die Summe dieser Einzelinteressen, die zu einem Gesamtbild führt.
Ich kann nicht verstehen, dass sich Ministerpräsidenten, die sehr unterschiedliche Interessen haben, verbünden, um sie jeweils einzeln durchzusetzen. Ich meine ganz konkret Herrn Kretschmann in Baden-Württemberg und Herrn Seehofer in Bayern. Der eine will in Bayern offensichtlich die Biomasse schützen, und der andere hat ein Interesse daran – das kann man diskutieren –, die Onshorewindenergie in Baden-Württemberg auszubauen. Das sind aber sehr gegensätzliche Interessen. Denn Herr Seehofer in Bayern ist ja ein Gegner von Onshorewindenergie; und Herr Kretschmann sieht mit Sicherheit das Thema Biomasse kritischer als Herr Seehofer. Und jetzt treffen sich beide und tun so, als hätten sie die gleichen Interessen. Das geht nicht! Wir brauchen Vernunft und nicht eine Koalition von Teppichhändlern; denn wir müssen dafür sorgen, dass die Energiewende tatsächlich zu einem Erfolg wird.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich sage Ihnen: Wir haben an dieser Stelle eine Riesenchance. Die Energiewende ist eine Chance für unser Land. Dabei bleibe ich. Wir können in einer Welt mit wachsendem Energiehunger und einer wachsenden Bevölkerung Ausrüster für moderne Technologien im Energiebereich sein. Wir sind in vielen Bereichen führend. Aber dafür brauchen wir die Referenz, dass wir die Energiewende im eigenen Land hinbekommen. Wir werden hart dafür arbeiten, eine sichere, eine saubere, eine bezahlbare Energieversorgung zu gewährleisten. Dazu werden wir auch alle Interessen anhören.
Aber ich sage auch: Wir dürfen nicht zu kurz springen! Wir müssen bis Mitte des Jahres eine grundlegende EEG-Reform auf den Weg bringen. Das ist noch nicht das Ende der Energiepolitik – gar keine Frage. Wir müssen auch für Energieeffizienz in diesem Land sorgen. Wir müssen für ein neues Strommarktdesign und für gesicherte Kapazitäten sorgen. Das alles sind große Aufgaben, die vor uns liegen.
Aber meine ganz herzliche Bitte an alle, die sich ein bisschen damit auskennen, ist: Wirken Sie mit! Gehen Sie nicht in die Schützengräben! Mauern Sie nicht! Es geht tatsächlich darum, die Energiewende zum Erfolg zu führen, aber vor allen Dingen auch darum, dadurch einen Beitrag dazu zu leisten, dass Deutschland wirtschaftlich erfolgreich bleibt. Es geht um Wohlstand, Arbeitsplätze, Lebensqualität in diesem Land. Auch den Weg zu mehr Klimaschutz werden wir mit einem neuen Bundeswirtschaftsminister gehen, der die Durchschlagskraft hat, die seinem Vorgänger gefehlt hat.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)